Joachim Masuch ist seit Mitte 1999 Präsident des Landesfußballverbandes Mecklenburg-Vorpommern, der mit über 60.000 Mitgliedern und rund 470 Vereinen der größte Sportfachverband des Landes ist. Im Interview spricht der 71-Jährige über die aktuelle Situation in der Coronakrise und erklärt, warum die Fußballsaison in Mecklenburg-Vorpommern derzeit nicht wie anderorts vorzeitig abgebrochen wird. Zudem plädiert Masuch hinsichtlich der Trainingsangebote für Alt und vor allem für Jung für ein differenziertes Vorgehen im Zuge der Wiederaufnahme des Amateursportes.
Herr Masuch, die Coronakrise hat auch den Amateurfußball noch immer fest im Griff. Wie stehen die Vereine aus
Mecklenburg-Vorpommern eigentlich dazu?
In den letzten Wochen und Monaten haben wir zahlreiche Meinungen und Gedanken unserer Vereine, die uns auf verschiedenen Wegen
erreicht haben, zur Kenntnis genommen. Dabei zeichnete sich vor allem zum Thema Spielbetrieb ein sehr breites Meinungsspektrum ab. Die grobe Tendenz geht dabei zur möglichen, aber natürlich
eingeschränkten Fortsetzung der laufenden Saison. In den meisten Fällen wird jedoch aus der eigenen Vereinssicht, unter Berücksichtigung der eigenen Tabellenstände, geurteilt. Nicht zuletzt das
macht einem deutlich: Unabhängig von den Entscheidungen, die getroffen wurden oder die noch getroffen werden müssen, wir können es als Verband nicht jedem Verein recht machen.
Was bedeutet das für den Umgang des Landesfußballverbandes mit der komplexen Situation?
Ein wesentlicher Punkt in allen Gesprächen oder eingehenden Meldungen, der sich mit der Lage im letzten Frühling gleicht, ist,
dass eine Verlängerung der Saison über den 30. Juni hinaus nicht gewollt ist. Seinerzeit hatten wir dieses Meinungsbild noch mit einer Online-Umfrage eingeholt. Darauf können wir nunmehr
verzichten. Darüber hinaus wurden alle weiterführenden Entscheidungen von den satzungsgemäß gewählten Vertretern der Vereine im Landesfußballverband als auch den angeschlossenen Kreisverbänden
getroffen. Dieses Prozedere werden wir beibehalten. Definitiv gilt: Die Saison 2020/2021 wird nicht verlängert. Eine Ausnahme könnte es – wie schon in der vergangenen Spielzeit – für den Lübzer
Pils Cup der Herren geben, um den Teilnehmer am DFB-Pokal sportlich zu ermitteln. Das ist ein klar geäußerter Wunsch des Großteils der noch im Wettbewerb befindlichen Vereine.
Wie soll es ansonsten mit dem Spielbetrieb weitergehen?
An unserer Ende Februar getroffenen Vorstandsentscheidung, die Saison mit einer sportlichen Wertung zu beenden, halten wir
nach jetzigem Ermessen fest. In den Spielklassen der Herren und Junioren sollen die Hinrunden beendet werden, in der Verbandsliga der Frauen und der B-Juniorinnen sollen statt der geplanten
Dreierrunden nur Hin- und Rückspiel ausgetragen werden. Alle Landespokalsieger sollen nach Möglichkeit sportlich ermittelt werden – vornehmlich in den Altersklassen, in denen man sich für
nachfolgende Wettbewerbe bzw. z.B. den DFB-Pokal qualifizieren kann. Das alles setzt allerdings eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes Anfang Mai voraus.
Ist das aktuell ein reelles Szenario? Immerhin wurde die Saison in einigen Verbänden bereits vorzeitig
abgebrochen.
Das bleibt natürlich abzuwarten, weil wir unser Handeln als Verband nur auf Grundlage der jeweiligen Pandemiesituation und den
zugehörigen Beschlüssen ausrichten können. Wir haben in enger Zusammenarbeit mit den Kreisverbänden in den vergangenen Wochen und Monaten immer mit einer gewissen Ruhe agiert. Das hat sich
bewährt. Darum wollen wir derzeit in diesem Zusammenhang keine voreiligen Entscheidungen treffen. Wir wissen von der überwiegenden Mehrheit unserer Mitglieder, dass sie gerne zurück auf den
Trainings- und Fußballplatz wollen, wenn es die politischen Rahmenbedingungen ermöglichen. Nicht zuletzt ist die Organisation des Spielbetriebes eine der wesentlichen Kernaufgaben des Verbandes,
der wir gerecht werden müssen. Sofern also die reelle Chance besteht, den Spielbetrieb unter Anwendung von Hygienekonzepten und der Einhaltung von behördlichen Vorgaben wiederaufzunehmen – und
diese Chance sehen wir derzeit noch –, wollen wir nicht vorschnell handeln.
Die Wiederaufnahme des Trainingsbetriebes ist wesentlicher Bestandteil dieses Plans. Wie bewerten Sie die aktuellen
Entwicklungen in dieser Hinsicht?
Die Politik hat dem Amateursport insgesamt zuletzt etwas die Tür geöffnet. Aktuell können beispielsweise Landeskader wieder
normal trainieren, in einigen Regionen ist auch das Gruppentraining wieder möglich. In den kommenden Wochen sind dazu weitere Öffnungsschritte vorgesehen. Hier gilt es nebst den Kernzahlen der
Pandemie sicherlich auch die logistischen Entwicklungen rund um die Einführung und Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests abzuwarten und auch die Rolle des Verbandes in diesem Zusammenhang zu
definieren. Um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können, haben wir – übrigens ebenfalls auf Wunsch der Vereine – eine vierwöchige Vorbereitungszeit im Mannschaftstraining zugesichert. Der
aktuelle Fokus liegt derzeit allerdings einzig und allein darauf, wieder ein möglichst großflächiges Angebot von Fußballtraining, gerade für die Kinder und Jugendlichen, zu
ermöglichen.
Die Politik hat dafür klare Grenzen gezogen, die sich vornehmlich an den Inzidenzen orientieren. Ist das eine gute
Lösung?
Ich empfinde das pauschale politische Handeln anhand von Inzidenzwerten für ganze Landkreise als problematisch. Dazu ein
aktuelles Beispiel: Die Infektionssituationen der Hansestadt Rostock als auch der angrenzenden Ortschaften und Gemeinden wie z.B. Bad Doberan, Parkentin oder Elmenhorst unterscheiden sich kaum
voneinander. Dennoch ist das Sportreiben in Gruppen innerhalb der kreisfreien Stadt erlaubt, in den unmittelbar angrenzenden Orten aber nicht. Und das nur, weil der gesamte Landkreis Rostock
aufgrund einer erhöhten Inzidenz beurteilt wird, die von Ausbrüchen in einigen entfernten Orten im Kreisgebiet herrührt. Das führt bei den Vereinen zu Unverständnis. Es gibt jedoch den dringenden
Wunsch, Sport treiben zu können. Und das lässt sich unter definierten Bedingungen vor Ort auch umsetzen. Dort, wo es die Lage zulässt, sollte es meiner Meinung nach in Abstimmung mit den Behörden
möglich sein, Training in konsistenten Gruppen stattfinden zu lassen.
Wie sollte das ihrer Meinung nach ablaufen?
Der Amateursport soll seine Chance bekommen. Gerade im Freien besteht erwiesenermaßen ein sehr geringes Infektionsrisiko. Und
Fußball ist laut wissenschaftlichen Studien auch kein Kontaktsport per se, wie dennoch immer wieder argumentiert wird. Von daher wollen wir als Teil des Amateursports insgesamt auch keine
Sonderrolle für den Fußball beanspruchen. Die Bewertung der Gesundheitsämter in den Landkreisen über die Zulassung bzw. die Nichtzulassung von Amateursport orientiert sich aber momentan leider
oftmals nicht am jeweiligen Einzelfall in den Städten oder Gemeinden im Abgleich zur insgesamt zu bewertenden Fläche. Dabei wäre ein differenziertes Abwägen und Entscheiden doch viel
zielführender. Deswegen begrüße ich die Entwicklungen in der Hansestadt Rostock zum Ermöglichen von Amateur- und Profisport ausdrücklich. Wir müssen bereit sein, uns mit Strategien zur
Wiederherstellung eines gesellschaftlichen Lebens – mit oder ohne Covid-19 – zu befassen. Allgemein aber erleben wir momentan eher eine undifferenzierte Verbotsstrategie, in der es kaum noch
Belohnungen gibt.
Geschieht dies aber nicht im Sinne des Infektionsschutzes?
Grundsätzlich ja. Und alles, was wir als Verbände oder Vereine abzuwägen und zu entscheiden haben, richtet sich ebenfalls an
der Gesamtsituation der Pandemie aus. Insoweit verstehen wir uns als Teil derer, die ihren Beitrag zum Rückgang des Infektionsgeschehens leisten müssen und auch wollen. Gerade der organisierte
Vereinssport kann dort seinen Teil beitragen und bietet in schwierigen Zeiten die Option, dass soziale Leben unter definierten Bedingungen wie z.B. die Anwendung von Hygienekonzepten oder der
digitalen Kontaktverfolgung zu ermöglichen. Das gesellschaftliche Leben muss ja weitergehen. All das geht selbstverständlich mit einer erhöhten Verantwortung der Vereine und auch jeder
beteiligten Einzelperson einher. Aber die Menschen sind dazu gewillt und auch in der Lage, dass zu leisten. Und es ist zudem ein deutlicher Unterschied, ob z.B. Training auf dem Vereinsgelände
mit einer konsistenten Personengruppe stattfindet, oder aber ein möglicherweise diffuses Geschehen mit vielen nicht nachvollziehbaren Kontakten abseits der Sportstätten vorzufinden
ist.
Welche Rolle soll der Amateursport also aus Ihrer Sicht einnehmen?
Sport ist ein Kit der Gesellschaft – er verbindet die Menschen, wenn auch derzeit eben mit Abstand. Diesem Umstand muss
einfach mehr Rechnung getragen werden. Gerade Kinder und Jugendliche benötigen in dieser besonderen Zeit der Isolation soziale Kontakte mit Gleichaltrigen. Hier kann der Sport helfen. Allen voran
dort, wo sich Familien derzeit unter Umständen überfordert fühlen und Kinder darunter leiden. Der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Speziellen ist kein Treiber der Pandemie oder gar ein
Problemfall. Er ist und bleibt vielmehr Teil der Lösung. Und wir müssen den Mut haben, dies auch bei der Politik einzufordern.
Vorausgesetzt, die Öffnungen des Sports schreiten weiter voran: Was sagen Sie jenen, die dennoch Zweifel hegen, ihre Kinder
zum Training zu schicken?
Niemand darf und soll sich unter Druck gesetzt fühlen. In erster Linie ist es wichtig, dass es möglichst bald überhaupt wieder
ein flächendeckendes Trainingsangebot für Amateursportler:innen nach entsprechenden Vorschriften gibt, ehe man dann in den folgenden Schritten auch über die Durchführung von Freundschafts- und
Pflichtspielen sprechen kann. Ob dieses Angebot aber dann von den Aktiven angenommen bzw. genutzt wird, entscheidet natürlich jede:r für sich bzw. für sein Kind nach eigenem Ermessen und eigenen
Maßstäben.